Jeyaratnam Caniceus
Mitglied der ÖDP
Ratsherr der Stadt Kempen

 

Interview René Bongartz und Jeyaratnam Caniceus
von Rheinische Post - Birgitta Ronge
10.11.22     Klicks:2329     A+ | a-
Vor fünf Jahren kamen rund 200 Vertreter von etwa 70 Martinsvereinen und -komitees aus dem Rheinland in Brüggen zusammen. Sie kamen aus dem Kreis Viersen, aus Krefeld, Mönchengladbach, Emmerich, Dinslaken, Düsseldorf, Neuss, Hilden, Straelen und Stolberg, um gemeinsam dafür zu sorgen, dass die rheinische Martinstradition als immaterielles Kulturerbe des Landes NRW anerkannt wird. Die Bewerbung wurde angenommen: Seit 2018 ist die Martinstradition immaterielles Kulturerbe in NRW. Jetzt wollen die Initiatoren einen Schritt weitergehen und die Bewerbung auf Bundesebene in Angriff nehmen. Wie das funktionieren soll und warum St. Martin so viele Menschen fasziniert.

Wenn Sie jetzt spontan eine Laterne basteln müssten: Wie würde die aussehen?

RENÉ BONGARTZ | Ich würde eine traditionelle Laterne aus einer Runkelrübe schnitzen, wie man das früher hier in der Region gemacht hat. Aber nicht gruselig, sondern mit einem netten Gesicht.
JEYARATNAM CANICEUS | Ich würde eine Europaflagge basteln. Meine Laterne wäre blau mit gelben Sternen, und in der Mitte wäre die Szene der Mantelteilung zu sehen.

Was fasziniert Sie persönlich so sehr an St. Martin, dass Sie sich jetzt seit Jahren für die Auszeichnung als Kulturerbe einsetzen?

CANICEUS | Meine drei Kinder sind hier in Kempen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dadurch hatte ich über Jahre sehr engen Kontakt zur Martinstradition hier, habe die Züge der Kinder begleitet. St. Martin ist ein Fest für alle Kulturen, Christen, Muslime, Hindus sind dabei, es gibt beim Martinsfest keine Ausgrenzung. So kam mir die Idee mit dem Kulturerbe.

BONGARTZ | Als Fünfjähriger ging ich schon mit meinem Vater in Viersen-Bockert, wo ich aufgewachsen bin, von Haus zu Haus. Er sammelte Spenden für den Martinsverein, ich durfte auf die Klingeln drücken. Als Zwölfjähriger durfte ich erstmals die große Fackel des Martinsvereins tragen. Die bestand aus viel Transparentpapier auf einer dünnen Holzplatte und war fast so groß wie ein Kühlschrank, ich musste wirklich aufpassen, damit gerade zu laufen und nicht unter dem Gewicht zu schwanken. Mit 16 hat man mir dann erlaubt, den armen Mann zu spielen, und das habe ich 27 Jahre lang gemacht. Das ist eine gute Grundlage, um sich dafür einzusetzen, dass die Martinstradition Kulturerbe wird. Und mittlerweile kommen so viele Informationen über St. Martin zusammen – wie wo gefeiert wird –, dass ich immer wieder aufs Neue fasziniert bin. Das ist schon eine richtige Martinswissenschaft.

Was bringt die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe den Martinsvereinen im Rheinland?

CANICEUS | Ein höheres Ansehen, mehr Anerkennung. Ich denke, das wird sich noch verstärken, wenn die Martinstradition erst auf Bundesebene als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist.

BONGARTZ | Die Anerkennung bringt ein starkes Maß an Identifikation mit dem Brauchtum mit sich, auch das Bewusstsein, etwas Wertvolles zu pflegen. Um das deutlich zu machen, haben viele Vereine das Logo Kulturerbe St. Martin auf ihre Internetseiten und ihr Briefpapier gesetzt. Seit 2019 ist übrigens eine Kita in Kaarst-Vorst Partner des Kulturerbes St. Martin: Dort wird der Martinsgedanke auch außerhalb des Festes gelebt. Ein Schild an der Tür des Familienzentrums weist auf diese Partnerschaft hin.

Hat die Auszeichnung Kulturerbe für die Vereine auch finanzielle Vorteile?

CANICEUS | Zunächst einmal nicht, es ist ein immaterielles Kulturerbe. Aber die Auszeichnung kann zum Beispiel dabei helfen, Sponsoren zu gewinnen. Das haben wir festgestellt, als wir die Ausstellung „Kulturerbe Sankt Martin“ geplant haben, die noch bis zum 15. November im Kempener Kulturforum zu sehen ist.

BONGARTZ | In manchen Städten und Gemeinden hat der Titel Kulturerbe auch dazu beigetragen, dass Kommunen die Veranstaltungsversicherung für die Martinszüge übernommen haben. So etwas entlastet die Vereine natürlich auch finanziell.

Nach der Anerkennung auf Landesebenen streben Sie jetzt die Anerkennung des Kulturerbes St. Martin auf Bundesebene an. Wie wollen Sie das angehen?

CANICEUS | Für den 14. Januar ist eine Versammlung von Vertretern von Martinsvereinen und -komitees im Weberhaus in Viersen-Süchteln geplant. Dazu haben wir 175 Vereine eingeladen. Mit ihnen gemeinsam wollen wir die Bewerbung auf den Weg bringen.

BONGARTZ | Die muss nämlich noch geschrieben werden. Außerdem schweben uns zwei Dinge vor: Wir wollen einen Martinsbund als gemeinsame Dachorganisation gründen. Dieser Martinsbund soll die Bewerbung auf den Weg bringen. 2017/18 haben wir das noch privat gemacht, aber für die Bewerbung auf Bundesebene muss eine Organisation dahinterstehen. Außerdem soll der Bund später eine Martinsstiftung ins Leben rufen, die sich um den Erhalt des Kulturerbes kümmert und tut, was St. Martin getan hat: ohne Ansehen von Herkunft oder Religion Menschen, die in Not geraten sind, schnell und unbürokratisch helfen. Das alles können wir allein nicht leisten.

Wie stark sind die Martinsvereine derzeit untereinander vernetzt?

BONGARTZ | Man kennt vielleicht noch die nächsten Akteure im Nachbarort, und wenn schwierige Situationen auftauchen, sucht man den Kontakt zu anderen. Doch darüber hinaus gibt es nur wenig Austausch. Dabei kann der Kontakt zu anderen Vereinen auch helfen, Probleme zu lösen. Ein Beispiel: Offenbar sind Papiertüten für die Martinstüten im Augenblick schwer zu bekommen, weshalb ein Verein im Kreis Kleve um Hilfe rief. Aus Düsseldorf meldete dann ein Verein, man habe genügend auf Lager, sie könnten sie holen. Solch ein Netzwerk bietet eben auch ganz pragmatische Hilfe. Wir können uns auch vorstellen, all die Unterlagen, die ein kleiner Verein gesammelt hat, aufzubewahren, wenn der Verein den Zug nicht mehr organisieren kann, sich niemand mehr für den Vorstand findet. Wir würden die Unterlagen verwahren und dann auch beim Wiederaufbau des Vereins vor Ort unterstützen, wenn sich wieder Menschen finden, die das Martinsbrauchtum dort wieder auf den Weg bringen wollen. Wir sammeln ja auch viele Informationen über das Martinsbrauchtum, die durchaus der Ausgangspunkt für wissenschaftliche Arbeiten sein könnten, etwa zum europäischen Brauchtum rund um den Martinstag.

CANICEUS | Ich kann mir vorstellen, in der Kempener Burg solch ein Martinskulturzentrum einzurichten. Das wäre mein Traum.

Im Rahmen der Ausstellung haben Sie gezeigt, dass St. Martin eigentlich ein europäischer Heiliger ist, in vielen Ländern Europas verehrt wird. Kann Martin Europa einen?

BONGARTZ | In Europa gibt es noch viele Barrieren, nicht nur sprachliche. Aber die Wurzeln der Martinsbräuche sind überall gleich. Egal, wo du in Europa hingehst: Überall gibt es die gleichen Elemente, von Estland bis Portugal, von England bis Italien. Kinder singen an den Türen, es gibt Freudenfeuer und süßes Gebäck. St. Martin wird Europa nicht einen, aber wenn wir unsere gemeinsamen kulturellen Wurzeln erkennen, dann kann er einen tollen Beitrag dazu leisten.

Birgitta Ronge führte das Gespräch.

Info
Ausstellung in Kempen zu sehen
Ausstellung Die Ausstellung „Kulturerbe Sankt Martin“ ist noch bis zum 15. November im Kulturforum Franziskanerkloster, Burgstraße 19 in Kempen, zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, donnerstags bis 18 Uhr.
Kontakt Mehr über die Initiative Kulturerbe St. Martin und die geplante Bewerbung auf Bundesebene erfahren Interessierte unter www.martinstradition.de


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